Another Year

Gerri (Ruth Sheen) und Tom (Jim Broadbent) gehen gegen die Sechzig und sind, wie man so schön sagt, seit Jahren glücklich verheiratet. Sie leben in London. Tom arbeitet als Geologe, Gerri auf dem Sozialamt. Sie bewohnen ein kleines Reihenhäuschen und haben einen Schrebergarten, den sie in ihrer Freizeit hingebungsvoll pflegen. Sie haben einen 30-jährigen Sohn, Joe, zudem einen ziemlich grossen Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis, zu dem sie regen Kontakt pflegen.

Warmherziger Blick auf ein ganz normales Ehepaar

Je nach Jahreszeit – der Titel „Another Year“ ist Programm, Mike Leighs neuer Film teilt sich auf in vier mit Jahreszeiten überschriebene Kapitel – diniert man, spielt eine Partie Golf oder trifft sich zum Grillieren im Garten; als die Schwägerin stirbt, packt man die Sachen ins Auto und fährt zur Beerdigung aufs Land. Doch was immer auch ist: man sitzt zusammen, tafelt, trinkt, plaudert, witzelt, lacht. Vor allem aber nimmt man – mal rücksichtsvoll, mal resolut, immer hilfsbereit – Anteil. Man lässt Gerris Arbeitskollegin Mary, die sich seit der Scheidung einsam fühlt, bei sich übernachten, lädt Toms depressiven Freund Ken für ein Weekend zu sich ein, lässt den frisch verwitweten Bruder und Schwager eine Weile bei sich wohnen. Und als Joe nach Jahren eingefleischten Junggesellendaseins eines Abends unverhofft mit einer Freundin vor der Tür steht, freut sich vor allem Gerri ganz herzlich und nimmt Katie freundlich in die Familie auf. Dass Mary, die in Joe immer ein bisschen mehr als bloss den Sohn ihrer Freunde sah, deswegen aus dem Konzept gerät und sich beim nächsten Dinner ziemlich daneben benimmt, quittiert Gerri zwar mit einer zünftigen Zurechtweisung. Doch als Mary nach Wochen der Funkstille wieder auftaucht und um Verzeihung bittet, ist die Sache vom Tisch: Nichts anderes, als das ganz gewöhnliche Leben eines ganz gewöhnlichen Ehepaars rückt Mike Leigh in seinem neusten Film auf die Leinwand. Und weil „Tom & Gerri“, wie sie sich spasseshalber manchmal selber nennen, immer ein bisschen glücklicher sind als ihre einsamen, traurigen und gern auch betrunkenen Freunden, scheint ihr Glück grad noch ein wenig heller zu schimmern.

Wunderbares filmisches Kleinod

Doch bloss eine plumpe Lobeshymne auf das Eheleben ist „Another Year“ dann doch nicht. Ähnlich wie schon im vorhergehenden „Happy-Go-Lucky“ (2008) schaut Leigh nämlich ganz genau hin. Deutet in kleinen Gesten, kurzen Blicken, in minimem Wechsel des Tonfalls immer wieder an, wie fragil dieses Glück ist, und welche enorme Anstrengung, welche Selbstdisziplin, welchen Grossmut, welche Gelassenheit die so genannte traute Zweisamkeit zu erhalten zwei Menschen wirklich kostet. Dass ihm dies so elegant, so Herz erwärmend stimmungsvoll und zugleich stimmig gelingt, ist der wahre Trumpf dieses Filmes und wohl vor allem das Verdienst seiner durchs Band grossartig spielenden Schauspieler. Denn, man mag es glauben oder nicht: Es gibt kaum etwas Schwierigeres zu spielen, als – wie Ruth Sheen und Jim Broadbent es hier glänzend vormachen – ein Paar, das nach Jahrzehnten geteilten Alltags miteinander bis ins Kleinste vertraut ist und sich blind vertraut. So ist „Another Year“ denn ein wunderbares filmisches Kleinod. Ein Film, der ohne grosse Worte und falsches Brimborium zeigt, wie Glücklichsein funktioniert und welch wichtige Rolle solch bescheiden glückliche Menschen wie Tom und Gerri für den gesunden Zusammenhalt der Gesellschaft spielen.

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