Der Verdingbub
DVD - Release: 16.8.2012
Rezension von Irene Genhart
Mit „Der Verdingbub“ stellt Markus Imboden einen Film vor, fast so bedrückend-schön wie „Höhenfeuer“. Dessen Story verweist auf ein unschönes, um nicht zu sagen höchst erschütterndes Kapitel der Schweizer Geschichte.
Er hat - muss man annehmen - diesen Tag, diesen ganz besonderen Tag, in seinem gerade mal zwölf Jahre kurzen Leben, oft herbeigesehnt und davon wohl auch geträumt, dieser Bub, der da in Markus Imbodens neustem Film bereits im Titel auftaucht, und mit Namen eigentlich Max heisst. Er ist ein Waisenkind, lebt in einem Heim im Bernischen, spielen mag „Der Verdingbub“ in den späten 1940er, frühen 1950er Jahren: Von 1800-1950, muss man erwähnen, wurden in der Schweiz Kinder, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen konnten – das heisst: vor allem Waisen- und Scheidungskinder – fremd platziert. Untergebracht wurden sie vorwiegend auf dem Land, in Bauernfamilien, die daran durchaus ihr Interesse hatten: Weil der Staat für die so genannten „Verdingkinder“ ein Kostgeld stellte, gewann, wer so ein Kind aufnahm, nicht nur eine billige Arbeitskraft für den Hof, sondern erhielt auch einen Zustupf in die Haushaltskasse.
Endlich ein richtiges Daheim!?
Eines Morgens direkt nach dem Aufstehen erfährt Max (Max Hubacher macht seine Sache mehr als bloss gut), zwölf Jahre alt und wohl mehrheitlich im Heim aufgewachsen, dass er fortan bei der Familie Bösiger auf der Dunkelmatte im Emmental leben wird. Überglücklich fühlt sich der Knabe: Endlich wird auch er eine Familie haben und ein richtiges Daheim! Tatsächlich lässt sich die Sache vorerst durchaus gut an. Max erhält eine eigene kleine Kammer über dem Stall. Frau Bösiger (gegen ihr Image besetzt, aber überraschend gut als Schweizer Bäuerin: Katja Riemann) scheint etwas herb zu sein, aber ihr Herz auf dem rechten Fleck zu haben, ihr Mann, der Bauer, (überzeugend: Stefan Kurt) ist ein etwas in sich gekehrter, schweigsamer Kerl, der es mag, wenn jemand zupacken kann. Und zupacken kann der Max, mit beiden Händen, und irgendwie läuft es gar nicht schlecht zwischen ihm und dem Bauern.
Auch darf Max zur Schule, und weil die junge Lehrerin, die da während des Films von der Stadt aufs Land zieht und ihre Stelle antritt, eine aufmerksame Person ist, steht Max bald ein wenig in ihrer Gunst und darf ab und zu sein Handörgeli mitbringen. Das Örgeli ist Max‘ Ein und Alles, ein Geschenk seiner Mutter selig, und zu spielen versteht der Bub! Grad tausend Mal besser klingt es, wenn er die Klasse begleitet, und wie Max am Schwingfest denn so richtig aufspielen darf, scheint ihm das Glück zu lachen.
Inzwischen hat sich auf der Dunkelmatte einiges verändert: Zum einen ist mit dem Berteli (Lisa Brand) ein zweites Verdingkind bei den Bösigers gelandet. Das Berteli darf richtig im Haus wohnen, kann es noch ein wenig besser mit der Frau Bösiger als Max und das macht die Situation vorerst ein wenig angespannt. Richtig schwierig aber wird es erst, als Bösigers Sohn Jakob (Max Simonischek) vom Militärdienst zurückkehrt. Jakob ist nämlich der Soldat so richtig zu Kopf gestiegen. Zudem ist er faul, arrogant, egozentrisch und bald schon masslos eifersüchtig auf Max, der sich mit seinem Vater viel besser versteht als er. Noch schlimmer als Max ergeht es mit Jakob aber Berteli. Jakob ist nämlich gewohnt sich zu nehmen, was er begehrt. Und da hat, wie man am Schwingfest sieht, selbst die Lehrerin einen schweren Stand, wenn sie sich wehrt.
Starker, historisch-politisch wichtiger Schweizer Film
Es kommt grob, sehr grob in „Der Verdingbub“, Haar sträubend entsetzlich gar. Gleichwohl zieht Imbodens Film in Bann. Vielleicht liegt das daran, weil man ahnt, dass – so übertrieben im Film einiges erscheinen mag und so unglaublich das klingt – vor sechzig, siebzig Jahren in der Schweiz tatsächlich noch ein ganz anderes gesellschaftliches Klima herrschte und die Zeit für vieles noch nicht reif war. Vielleicht liegt es aber auch daran, weil man ahnt, dass auch unsere Zeit in siebzig Jahren manch einem barbarisch erscheinen mag: „Das Leben ist ein stetiger Fluss“, hat schon Heraklit gesagt. Vor allem aber liegt es wohl daran, weil „Der Verdingbub“ trotz trister Geschichte, ein ausnehmend schön fotografierter, solide gefertigter und durchs Band gut gespielter Schweizer Film ist. Und weil abgesehen davon Max ein unglaublicher Kerl ist, der nie seine Hoffnung verliert. Der immer wieder und zum Teil auch zusammen mit Berteli vom Weggehen und Glücklich-Werden in Argentinien träumt und auch immer wieder Menschen findet, die ihm helfen. „Der Verdingbub“ ein ungemein starker, (historisch-politisch) auch wichtiger Schweizer Film.
(Irene Genhart)
Kritiken
National |
- Christoph Schelb für outnow.ch |
- Matthias Lerf für sonntagszeitung.ch |
- Şule Durmazkeser für groarr.ch |
Offizielle Website | Verleiher |
www.verdingbub.ch | Ascot Elite |
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