Fuocoammare
Streaming - Release: 24.4.22 auf filmingo.ch
Filmkritik von Tereza Fischer
Es ist nicht der erste Dokumentarfilm, der die Felseninsel unweit der afrikanischen Küste Lampedusa porträtiert. Meist handelt es sich um kritische Berichte und Analysen der Flüchtlingsströme, die auf der nur gerade 20 Quadratkilometer grossen Insel Italiens aus Afrika ankommen – viele von ihnen haben die Reise in überfüllten Booten nicht überlebt.
Erst kürzlich hat Jakob Brossmann in Winter auf Lampedusa das Versagen der Medien vorgeführt und drängende Fragen gestellt, wie Europa mit dieser menschlichen Tragödie umgehen sollte. Gianfranco Rosi, der für seinen Dokumentarfilm Santo GRA über Rom Umfahrungsstrasse in Venedig den Goldenen Löwen gewann, evoziert ein anderes Lampedusa: eine kleine Welt, deren Alltag meist unberührt von den Schicksalen der Flüchtlinge bleibt.
Wenn sich Zia Maria, die wir immer wieder bei Haushaltsarbeiten beobachten, einen Song im Radio wünscht, ruft sie ihren Neffen, den Radio-DJ, an. Die Musik, unter anderem der titelgebende Song «Fuocoammare» über die Gefährlichkeit der Meere für die Fischer, ertönt dann nicht nur im Studio, sondern auch in ihrer Küche. Die Welt auf Lampedusa schrumpft auf einen von aussen unberührten Mikrokosmos. Der Alltag geht trotz des Elends, das das Meer bringt, weiter. Eine Beschäftigung damit findet nicht statt. Nur ganz am Anfang ist eine Nachricht über ertrunkene Flüchtlinge zu hören, mehr nicht. Als wäre diese Küche tausende von Kilometern entfernt.
Im Mittelpunkt des Films steht der zwölfjährige Samuele. Er ist Experte für Schleudern, hat so seine Mühe mit dem Englisch in der Schule und schlürft mit kindlicher Unschuld laut seine Spaghetti. Wenn er beim Arzt sitzt, diesem seine Mühe mit dem Atmen mit erwachsener, süditalienischer Gestikulation schildert, wirkt er abgeklärt, unschuldig und fragil zugleich. Genauso wie die anderen wenigen Protagonisten kommt Samuele nie mit den Flüchtlingen in Berührung. Sinnigerweise sieht er mit einem Auge fast nichts, es ist träge und muss zum Sehen gezwungen werden. Damit steht er auch für die Gesellschaft, die träge das Problem vor ihrer Haustüre ausblendet.
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