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Le Havre

FI 2011, 93 Min., OV/df, Regie: Aki Kaurismäki, mit André Wilms, Kati Outinen, Jean-Pierre Darroussin

Le Havre

DVD - Release: 8.3.2012

Rezension von Hans Jürg Zinsli

„Le Havre“ ist Aki Kaurismäkis sechzehnter Film in dreissig Jahren. Der Finne erzählt darin auf märchenhaft-reduktionistische Art von einem französischen Schuhputzer, der sich um einen afrikanischen Flüchtling kümmert.

Wenige Szenen genügen, um einen Kaurismäki-Film zweifelsfrei zu identifizieren: Es sind Bilder von ausgesuchter Tristesse, maulfaule Helden und lakonische Dialoge, die zum Grundinventar des 54-jährigen Finnen mit Wohnsitz Portugal gehören. Eine aufs Äusserste reduzierte Mise en Scène verleiht seinen Kunstwerken ihr typisches Flair. Komik, sofern vorhanden, entspringt bei Kaursimäki der Vereinsamung und Verzweiflung seiner vom Schicksal gebeutelten Figuren. Das trifft auch auf sein jüngstes Werk „Le Havre“ zu, wenngleich hier die charakteristische Melancholie fast ganz verschwunden ist. Auch sonst erscheint in diesem Film einiges ungewohnt.

Vom Schicksal doppelt geprüfter Held
Lose anknüpfend an „La vie de Bohème“ (1991) spinnt Kaurismäki in „Le Havre“ die Geschichte des Pariser Lebemanns Marcel Marx (André Vilms) fort, der sein Glück als Schriftsteller in der französischen Hauptstadt nicht fand und sich nun als einfacher Schuhputzer in der unwirtlichen Hafenstadt Le Havre durchschlägt. Marx, der sorglose Simpel, wird vom Schicksal schwer geprüft – und das gleich doppelt: Seine Frau Arletty (Kati Outinen) ist erkrankt und muss ins Spital, ihr naher Tod scheint eine Frage der Zeit. Währenddessen strandet ein afrikanischer Teenager (Blondin Miguel), der sich als Flüchtling nach England durchschlagen will, versehentlich in Le Havre. Marx quartiert den Jungen ohne zu zögern in seiner Wohnung ein und sucht nach Möglichkeiten, ihn sicher nach England zu bringen.

Kaurismäki nutzt dieses ungewohnt aktuelle Immigrations-Sujet, um in wunderbarer Old-fashion-Manier ein modernes Märchen zu erzählen – selbstverständlich in seinen bevorzugten Farben Rot, Blau und Gelb. Es ist ein durch und durch humanistisches Werk geworden, das in äusserster Reduktion schwelgt und dabei auf zwischenmenschliche Solidarität als das Selbstverständlichste der Welt pocht, ganz so, als hätten sich Charlie Chaplin und Jaques Tati zur gemeinsamen Fabulierstunde verabredet.

Die Grenzen der Wahrscheinlichkeit
Zum guten Ausgang der Geschichte helfen denn auch sämtliche Nebenfiguren tatkräftig mit – der Obsthändler, die Wirtin, der obligate Rock’n’Roller (Roberto Piazza als Little Bob) und sogar der knurrige Kommissar (Jean-Pierre Darroussin), der nur deshalb ermittelt, um die Hauptfiguren vor dem unbarmherzigen Justizapparat zu schützen. Natürlich werden die Grenzen der Wahrscheinlichkeit in „Le Havre“ fortlaufend überschritten – von der Wunderheilung der Gattin über den holprigen französischen Akzent Kati Outinens bis zur kurzzeitig behaupteten Verwandtschaft zwischen Marx und dem dunkelhäutigen Flüchtling liegt alles drin. Und trotzdem funktioniert der Film, denn bei Kaurismäki regiert pure, unverfälschte Poesie – umgesetzt in gewohnt statischen Szenentableaus von Kameramann Timo Salminen.

Erstaunlich mutet in „Le Havre“ höchstens noch der für Kaurismäki’sche Verhältnisse beträchtliche Redefluss seiner Figuren an – ein kleines Zugeständnis des zugeknöpften, oft mürrisch auftretenden Finnen an Frankreich, das Gast- und Zitatland seiner filmischen Träume. Und ja, selten war es so ergreifend, so vielen guten Menschen aufs Mal zuzuschauen. Diese Kunst beherrscht Kaurismäki wie kein Zweiter.
(Hans Jürg Zinsli)

 

Kritiken

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- Michael Sennhauser in sennhausersfilmblog.ch - Katja Nicodemus für zeit.de
- Simon Eberhard für outnow.ch - Margret Köhler für br-online.de
- Hanspeter Stalder in der-andere-film.ch - Andreas Kilb für faz.net
- Urs Arnold für aargauerzeitung.ch - Rainer Gansera für sueddeutsche.de
- Brigitta Rotach für medientipp.ch - Dominik Kamalzadeh im Interview mit Aki Kaurismäki für taz.de
   
Offizielle Website Verleiher
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