Sister - L'enfant d'en haut
DVD - Release: 25.10.2012
Rezension von Walter Gasperi
Der zwölfjährige Simon hält sich und seine Schwester Louise mit Diebstählen in einem Skigebiet über Wasser. Mit ihrem zweiten Spielfilm gelang „Home“-Regisseurin Ursula Meier ein einfühlsames Sozialdrama im Stil der Dardenne-Brüder.
Keinen Überblick gewährt die von Agnès Godard geführte Kamera, hautnah folgt sie dem zwölfjährigen Simon (Kacey Mottet Klein), wenn er im Skigebiet auf Diebestour geht, nebenbei Rucksäcke klaut, die er auf der Toilette in seinen Rucksack umpackt, oder Ski in einem Verschlag hinter dem Skirestaurant verstaut. Nie wird man einen Überblick über das Skigebiet gewinnen, eingeengt bleibt die Sicht.
Oben und unten
Mit der Bahn fährt Simon, für den die eigene Skiausrüstung nur eine Tarnung ist, ins Tal. Aus der Distanz blickt man von der Gondel auf die Skipisten. Eine andere Welt ist diese Freizeitgesellschaft. Nichts hat sie mit Simons Leben zu tun.
Auch im Tal bleibt die Kamera hautnah an Simon. Keine sozialen Kontakte scheint er zu kennen, bringt für jüngere Kinder Ski mit, richtet einen regelrechten Handel ein und wohnt mit seiner Schwester Louise (Léa Seydoux) in einer tristen Hochhauswohnung. Die Schwester hat gerade ihren Job verloren, ist stets mit anderen Typen unterwegs. Simon muss für sie sorgen, ist ein Kind ohne Kindheit, das längst schon die Verhaltensweisen der Erwachsenen eingeübt hat.
Unweigerlich fühlt man sich bei diesem zweiten Spielfilm von Ursula Meier immer wieder an die Dardenne-Brüder erinnert. Wie das belgische Regie-Duo richtet die Westschweizerin den Blick auf sozial am Rande stehende junge Menschen und folgt ihnen hautnah mit beweglicher Kamera. In jeder Szene ist der von Kacey Mottet Klein grossartig gespielte Junge präsent, allein schon seine Augen vermitteln viel von seiner Verlorenheit, aber auch von seiner Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe.
Wenn er vom Skigebiet in der Höhe immer wieder mit der Bahn zur Wohnung im schneefreien schmutzigen Tal fährt, dann findet Meier damit ein treffendes Bild für die soziale Kluft. Ganz beiläufig wird so dem Freizeitvergnügen der Besitzenden der nackte Überlebenskampf des Jungen gegenüber gestellt.
Doch nicht nur an materieller Not, sondern mehr noch an fehlender Zuneigung und Geborgenheit leidet Simon. Wie ein Erwachsener muss er schon handeln und statt Gefühlen dominiert der Geldaustausch, sodass er sogar schon seine Schwester fürs Kuscheln bezahlt.
Genauer Blick auf Welt und Leben
Überzeugungskraft und viel von seinem Reiz gewinnt „L´enfant d´en haut – Sister“ auch durch die Ansiedlung in einem filmisch selten verwendeten Milieu. Ausgestellt wird dieses aber nie, sondern bleibt auf seine Funktion beschränkt. Nichts wird hier besonders betont, alle Aspekte dieses Lebens am Rande der Gesellschaft werden aus der Geschichte heraus entwickelt. Wunderbar beiläufig und reich an Zwischentönen wird dieser bewegende Film durch seinen genauen Blick auf die Welt und das Leben, Happy End kann es hier keines geben, offen, im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft hängend, lässt Meier ihr starkes Sozialdrama auslaufen.
(Walter Gasperi)
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