The Turin Horse
DVD - Release: 7.12.2012
Rezension von Walter Gasperi
146 Minuten, 29 Einstellungen – Die Eckdaten sagen Einiges über die Langsamkeit und den Minimalismus von Béla Tarrs Film. Eine Zumutung, auf die man sich einlassen muss, ist das, unbestritten brillant sind freilich die Schwarzweissbilder von Fred Kelemen.
In „The Turin Horse“ treibt der Ungar Béla Tarr („Satantango“, „Die Werckmeisterschen Harmonien“), der für seinen Minimalismus und formale Strenge berühmt ist, seinen Stil auf die Spitze. Dramatisch und bewegt ist noch der Beginn, der auf ein historisches Ereignis Bezug nimmt, das von einer Männerstimme aus dem Off referiert wird: Am 2. Januar 1889 schritt der Philosoph Friedrich Nietzsche in Turin vor seiner Wohnung gegen einen Kutscher ein, der auf sein Pferd einschlug. Dies war die letzte Tat Nietzsches, bevor er dem Wahnsinn verfiel, doch Tarr interessiert sich nicht für den Philosophen, sondern für das Pferd, über dessen Verbleib nichts bekannt ist.
Was wurde aus dem Pferd?
Schwarz ist in dieser ersten Einstellung der Film, mit der Aufblende verstummt nach diesem referierten Beginn auch „The Turin Horse“ nahezu. Von der Stadt folgt Tarr Kutscher und Pferd aufs Land zu einem in einer weiten Ebene gelegenen Hof. Dort schirrt der Kutscher das Pferd ab und bringt es im Stall unter. Im Haus wird der halbseitig gelähmte Mann von seiner erwachsenen Tochter bekocht und später auch an- und ausgezogen.
Über sechs Tage zieht sich quasi in Rückbuchstabierung der Schöpfungsgeschichte die „Handlung“ hin. Immer stürmischer wird dabei der Wind ums Haus pfeifen, immer karger wird das Leben, immer dunkler die Stimmung werden. Erst nach rund einer halben Stunde fallen mit dem Satz „Das Essen ist fertig“ die ersten Worte.
Mal will der Kutscher mit dem Pferd den Hof verlassen, gibt aber auf, als das Tier sich weigert, mal bekommt er Besuch von einem Bekannten, der ihn mit einer Suada über Sieg und Niederlage, über Erwerben und Verlieren eindeckt, mal kommen Zigeuner vorbei, die von Vater und Tochter vertrieben werden und schließlich wollen sie mit Pferd und Karren den Hof verlassen, kehren aber bald wieder zurück.
Auf die Spitze getriebene Langsamkeit
146 Minuten ist „The Turin Horse“ lang und besteht aus exakt 29 Einstellungen. Jede für sich ist brillant komponiert, aber freilich auch endlos lang. Samuel Becketts „Warten auf Godot“ ist im Vergleich mit Tarrs Film ein atemberaubend schnelles Actionstück. Stillstand prägt diesen düsteren Monolithen, kaum Abwechslung bringen die alltäglichen Arbeiten vom Kochen übers Füttern des Pferdes bis zum Wasserholen beim nahen Brunnen. Auf die Spitze getrieben ist hier die Langsamkeit und bietet im Gegensatz zu den stilistisch verwandten, aber symbolbeladenen Filmen eines Andrej Tarkowskj, auch nichts zum Sehen, denn leergefegt sind Fred Kelemans Bilder förmlich, wie die Handlung auf ein Minimum reduziert.
Ganz bewusst mutet Béla Tarr dem Zuschauer viel zu, will ihn provozieren. Bringt man aber die Geduld auf sich auf diesen Film einzulassen, kann er gerade durch den unendlich langsamen, aber genau kontrollierten Erzählrhythmus, die Retardierungen und die Ereignislosigkeit eine Sogwirkung entwickeln.
(Walter Gasperi)
Kritiken
Verleiher |
Vega Distribution |
Kommentare
Bitte melden Sie sich Logan oder registrieren Sie sich um kommentieren zu können.