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Schlussbericht und Preise des 31. FIFF. Von Geri Krebs

Schlussbericht und Preise des 31. FIFF. Von Geri Krebs

Ein Festival am Puls der Zeit

Am Samstagabend ging mit der Preisverleihung und der Projektion des Abschlussfilms «The Birth of a Nation», eines Dramas aus der Zeit der Sklaverei in den USA von Regisseur Nate Parker, die 31. Ausgabe des «Festival International de Films de Fribourg» (FIFF) zu Ende. Auch wenn die wichtigsten Preise an Filme aus Südasien gingen: Den stärksten Eindruck hinterliess ein satirisches Drama aus Russland.

Trotz Prachtwetter in den letzten Festivaltagen konnte das FIFF, das bereits zum sechsten Mal unter der Leitung des künstlerischen Direktors Thierry Jobin stand, mit über 42’000 Eintritten stolz vermelden, den letztjährigen Rekord bezüglich Publikumsgunst wiederholt zu haben. Das FIFF ist damit das grösste Filmfestival der Romandie, grösser noch als das bereits Ende nächster Woche startende Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in Nyon. Das gewohnt ausufernde Programm des FIFF, das dieses Jahr einen Schwerpunkt mit Gespensterfilmen setzte, war stark von asiatischem Kino dominiert.

Den mit 30 000 Franken dotierten Hauptpreis, den „Regard d'Or“, erhielt „Apprentice“ von Boo Junfeng aus Singapur. Der formal sehr geschlossene Film erzählt in langsamen Einstellungen und unaufgeregt von einem jungen Gefängniswärter, der in dem südostasiatischen Stadtstaat mit viel Enthusiasmus und besten Absichten seiner Arbeit nachgeht. Überzeugt davon, dass er mit seiner Tätigkeit den Delinquenten bei ihrem Weg zurück in die Gesellschaft behilflich sein kann, lernt er eines Tages den Henker aus dem Todestrakt des Gefängnisses, einen desillusionierten älteren Mann kennen, der mit nicht minder grossem Enthusiasmus „seinen“ Gefangenen einen möglichst schmerzlosen Tod bereiten möchte. Auch wenn sich der Junge zunächst dagegen sträubt: der Alte schafft es rasch, aus dem Jungen einen gelehrigen „Henkerslehrling“ zu machen. Der Film hat in seiner Heimat natürlich eine gewisse Brisanz, gibt es doch in Singapur die Todesstrafe, wie Regisseur Boo Junfeng in Fribourg erzählte, und sie wird auch fleissig angewandt.
Der zweite Preis, der mit 10 000 Franken dotierte „Prix spécial de la Jury“ ging an den Thriller „Honeygiver Among the Dogs“ von Dechen Roder aus Bhutan. Dieser erste von einer Frau aus dem kleinen Himalaya-Königreich realiserte Spielfilm variiert das alte Motiv von „Der Bulle und das Mädchen“ in reizvoller Weise, indem er einen jungen Kommissar sich an die Fersen einer bildhübschen Mordverdächtigen heften lässt, von der es heisst, sie besitze übersinnliche Kräfte. War hier das Thema der Geister präsent, so wurde schliesslich der Publikumspreis – und die Priese der ökumenischen und der Filmclub-Jury - an einen - nächstens auch in den Kinos startenden - Spielfilm aus Nepal vergeben, bei dem die Geister nur metaphorisch und in Form von Hinterlassenschaften aus der Vergangenheit präsent waren: Dem Polit-Drama „White Sun“. Regisseur Seto Surya lässt darin einen ehemaligen maoistischen Guerilla-Kämpfer Jahre nach dem Friedensabkommen von 2006 in sein Heimatdorf zurückkehren, um dort an den Begräbnisfeierlichkeiten für seinen verstorbenen Vater teilzunehmen und entfaltet so einfacettenreiches Panorama des sozialen Umbruchs in dem Himalaya-Land, das im Gegensatz zu 
Bhutan bereits eine beachtliche Filmografie aufweist.


Aus einem anderen geografischen Raum, ganz real und doch auch wiederholt gespenstisch, war indes im internationalen Wettbewerb der Spielfilme ein Werk, das brennend aktuell und aus ungewohnter Optik die tödlichen Konsequenzen von religiösem Fanatismus anging: «The Student» des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov. Ähnlich wie in «Le ciel attendra» der französischen Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar, der letztes Jahr am Locarno Film Festival auf der Piazza Grande lief und soeben im Kino startete, geht es auch in «The Student» um religiöse Radikalisierung bei Jugendlichen. Doch anders als Mention-Schaars Film verzichtet «The Student», obwohl in einer Schule spielend, auf jegliche Didaktik. Vielmehr ist der auf dem Theaterstück «Märtyrer» des deutschen Autors Marius von Mayenburg beruhende Film eine rabenschwarze Satire. Und im Gegensatz zu «Le ciel attendra» konzentriert sich hier die Radikalisierung auf eine einzige Figur. Regisseur Kirill Serebrennikov, der damit seinen siebten Spielfilm vorlegt, verlegte die Geschichte aus der deutschen Provinz nach Kaliningrad (dem ehemaligen Königsberg) an der Ostsee und gibt bereits in der Eröffnungsszene den Tarif durch: Der Teenager Benjamin (stark: der 22-jährige Pyotr Skvortsov) zofft sich mit seiner alleinerziehenden Mutter, die soeben erfahren hat, dass ihr Sprössling seit Wochen den schulischen Schwimmunterricht schwänzt. Sie muss die Absenzen begründen, Benjamin provoziert: «Dann schreib halt: Keine Schwimmlektionen mehr wegen häufiger Spontanerektionen.» Doch dann rückt Benjamin mit der Sprache heraus: «Sag ihnen, es ist gegen meine Religion.» Und er meint es ernst, wie man kurz darauf sieht: Angezogen am Beckenrand in der Schwimmhalle sitzend, rezitiert er aus der Bibel Textstellen, die Unzucht und moralischen Verfall geisseln. Anfangs erntet er für seinen fanatischen Irrsinn Spott, doch das ändert sich im Verlauf zweier atemlos spannender Filmstunden: Sowohl Mitschüler als auch Lehrerschaft bleiben von Benjamins Predigten nicht unberührt, bald treten bei einigen antisemitische und homophobe Vorurteile offen zutage – mit mörderischen Konsequenzen. Und wenn in einer quälend langen Szene die Lehrerschaft das vergiftete Klima an der Schule in einer Aussprache mit Benjamin und dessen Mutter zu entschärfen versucht – und dabei die nervös das Geschehen umkreisende Handkamera wiederholt Wladimir Putins Bild an einer Wand des Sitzungszimmers streift, dann setzt der Film ein deutliches Signal. «The Student» reiht sich so ein in solch inhaltlich wie formal grosse und mutige Würfe des jüngeren russischen Kinos wie «Durak» von Juri Bykow (2014 in Locarno ausgezeichnet) oder «Leviathan» von Andrej Zwjaginzew (2015 auf der Shortlist für den Ausland-Oscar). Leider ging «The Student» bei den Preisen am FIFF leer aus. Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, wo er unter dem Titel «Der die Zeichen liest» bereits in den Kinos läuft, fand er auch keinen Schweizer Kinoverleih. Am letztjährigen Filmfestival von Cannes, wo er seine Weltpremiere in der Sektion «Un certain regard» erlebte, erhielt «The Student» den «Prix François Chalais». Der Preis ist nicht ganz unwichtig. Im Jahr zuvor war die Auszeichnung an «Son of Saul» gegangen.


Neben all den aktuellen Filmen bot das Fiff in diesem Jahr, mehr noch als bei früheren Ausgaben, die Gelegenheit, ausgewählte Klassiker der Filmgeschichte zu entdecken, eingeführt von hochkarätigen Fachleuten. Das unumstrittene Highlight war in diesem Bereich die Präsenz des 92 jährigen Freddy Buache. Buache, Begründer der Cinematèque Suisse in Lausanne im Jahr 1951 und bis 1995 ihr Leiter, präsentierte mit viel Esprit und Witz eine sogenante Masterclass und präsentierte fünf Filmklassiker aus den Jahren zwischen 1931 und 1987, angefangen von Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ bis zu „The Dead“, dem letzten und wenig bekannten Film von John Huston. Dem Charisma von Freddy Buache, der längst zu einer Legende geworden ist und dem sein Freund Jean-Luc Godard einst einen Film widmete („Lettre à Freddy Buache“, 1982) konnte man sich unmöglich entziehen und es bleibt zu hoffen, dass sich bewahrheitet, was Festivaldirektor Thierry Jobin ihm am Ende einer seiner Präsentationen mit auf den Weg gab: „Freddy, Sie waren vorab so skeptisch gewesen, ob überhaupt jemand Interesse an diesen alten Filmen haben würde – und nun sehen Sie: Wenn Sie da sind, ist der Kinosaal immer voll. Kommen Sie doch bitte nächstes Jahr auch wieder, das 32. Fiff findet vom 18. - 27. März 2018 statt.“
(Geri Krebs)

Preise

Internationaler Wettbewerb Langfilme
Grand Prix APPRENTICE
Boo Junfeng
Singapur, Hong Kong, Qatar, Deutschland, Frankreich, 2015
Sonderpreis der Jury HONEYGIVER AMONG THE DOGS
Dechen Roder
Bhutan, 2016
Publikumspreis WHITE SUN
Deepak Rauniyar
Nepal, USA, Qatar, Niederlande, 2016
Preise der ökumenischen Jury WHITE SUN
Deepak Rauniyar
Nepal, USA, Qatar, Niederlande, 2016
Critics' Choice Award APPRENTICE
Boo Junfeng
Singapur, Hong Kong, Qatar, Deutschland, Frankreich, 2015
Preis der Jugendjury Comundo HONEYGIVER AMONG THE DOGS
Dechen Roder
Bhutan, 2016
Don Quijote-Preis des FICC WHITE SUN
Deepak Rauniyar
Nepal, USA, Qatar, Niederlande, 2016
Lobende Erwähnung HONEYGIVER AMONG THE DOGS
Dechen Roder
Bhutan, 2016
   
Internationaler Wettbewerb Kurzfilme
Bester Internationaler Kurzfilm SALAM
Raed Rafei
Libanon, 2017
Preis des Netzwerk Cinéma CH SAMEDI CINÉMA
Mamadou Dia
Senegal, USA, 2015
Lobende Erwähnung SALAM
Raed Rafei
Libanon, 2017
Preis Auslandsvisum MILLIMETERLE
Pascal Reinmann
Schweiz, 2016
Lobende Erwähnung WO DER EUPHRAT IN DIE SAVA MÜNDET
Andreas Muggli