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Vorschau auf das 68. Festival von Cannes. Von Doris Senn

Vorschau auf das 68. Festival von Cannes. Von Doris Senn

Am Mittwoch, 13. Mai, eröffnet Emmanuelle Bercot das 68. Festival von Cannes. 19 Filme steigen ins Rennen um die Goldene Palme. Im Line-up finden sich u. a. Nanni Moretti, Gus Van Sant, Todd Haynes und Hou Hsiao Hsien.

Cherchez la femme!
In den letzten Jahren gab es immer wieder viel Polemik um die Königsdisziplin am Filmfestival in Cannes: Im Wettbewerb sind Frauen mitunter gar nicht – oder dann nur vereinzelt anzutreffen. Das hat Tradition: In der langen Chronik des Festivals ging die Goldene Palme bisher ein einziges Mal an eine Frau: 1993 für «The Piano» an Jane Campion – die sich den Hauptpreis zudem noch teilen musste mit Chen Kaige («Farewell My Concubine»). Nun will man anscheinend das Festival etwas aus der Schusslinie nehmen und lässt es (zum zweiten Mal in seiner langen Geschichte) von einer Regisseurin eröffnen: mit «La tête haute» der 47-jährigen Emmanuelle Bercot, die ihre Karriere als Schauspielerin begann und bisher rund ein Dutzend bei uns kaum bekannter Filme als Regisseurin zeichnete. «La tête haute» ist ein Coming-of-Age-Drama um einen kriminellen Jugendlichen und eine engagierte Jugendrichterin, die von Catherine Deneuve gespielt wird und mit der Bercot schon in ihrem letzten Film zusammenarbeitete: «Elle s’en va» (der auch bei uns im Kino lief). «La tête haute» läuft ausserhalb des Wettbewerbs, doch kommt Bercot trotzdem zu einem prominenten Auftritt in der «Compétition», nämlich als Hauptdarstellerin in «Mon roi», der – oh Wunder! ebenfalls von einer Frau stammt, der Französin Maïwenn.

Frankreich: Gewichtige Präsenz im Wettbewerb
Frankreich ist in diesem Jahr mit stattlichen fünf von ausgewählten 19 Titeln vertreten: So präsentieren Guillaume Nicloux («La religieuse»), Jacques Audiard («De rouille et d’os»), Stéphane Brizé («Mademoiselle Chambon») und – neben Maïwenn – noch eine weitere Regisseurin, nämlich Valérie Donzelli, ihre neusten Werke. Donzelli erzählt mit «Marguerite et Julien» eine verzehrende inzestuöse Liebe zwischen Schwester und Bruder. Wie ihre bisherigen Werken entstand auch «Marguerite et Julien» in enger Zusammenarbeit mit Jérémie Elkaïm, Donzellis Ex-Partner, der Julien spielt und als Co-Autor des Drehbuchs zeichnet. Donzelli spielte übrigens die Hauptrolle in Lionel Baiers letztem Film «Les grandes ondes (à l’ouest)».

Das internationale Line-up
Neugier und Vorfreude wecken aber vielmehr die internationalen Autoren im Wettbewerb: so etwa Nanni Moretti mit «Mia madre» – einer Familienkomödie, in der Moretti selbst wieder eine Rolle innehat, Todd Haynes («Far From Heaven», «I’m Not There») mit einer Verfilmung von Patricia Highsmiths autobiografisch-lesbischem Roman «Carol», Gus Van Sant präsentiert mit «The Sea of Trees» ein Drama um zwei suizidale Männer, und Matteo Garrone («Gomorra») wagte sich mit «Il racconto dei racconti» an die barocke Märchensammlung des Neapolitaners Giambattista Basile (1566–1632). Der ungarische László Nemes kann im renommierten Wettbewerb seinen Erstlingsfilm zeigen, «Saul fia», während Paolo Sorrentino nach seinem erfolgreichen «Grande bellezza» (2013) nun mit «Youth» erneut nach Cannes reist.

La Suisse n’existe pas
Einmal mehr ist die Schweiz nur am Rand und insbesondere als Koproduktionsland im offiziellen Festival von Cannes vertreten – so etwa für «Arabian Nights» des portugiesischen Regisseurs Miguel Gomes oder «Amnesia» von Barbet Schroeder, in dem Marthe Keller, Joel Basman und Bruno Ganz eine Rolle innehaben, der aber nur in einer Spezialvorstellung gezeigt wird. Ebenfalls als Spezialvorstellung (von ACID, eines Vereins für die Verbreitung des unabhängigen Films) ist der neue Film von Lionel Baier zu sehen: «La vanité» mit Patrick Lapp («Les grandes ondes») und Carmen Maura über einen todkranken Mann und seine Strategien, dem Leben zu entkommen. Im Rahmen von «Talents Adami Cannes» zur Lancierung neuer Schauspieltalente läuft der Kurzfilm «Rewind» des ebenfalls aus der Westschweiz stammenden Frédéric Mermoud, der ein Drogendelikt aus drei verschiedenen Blickwinkeln erzählt.

Sie entscheiden, wer die Goldene Palme 2015 erhält
Die offizielle Jury des 68. Filmfestivals von Cannes wird präsidiert von den Coen-Brüdern und besteht aus so illusteren Mitgliedern wie Rossy de Palma – Fetischschauspielerin von Pedro Almodóvar –, dem kanadischen Regisseur Xavier Dolan – letztjähriger (und jüngster) Jury-Preisgewinner in Cannes –, dem mexikanischen Filmemacher Guillermo del Toro, den Darsteller/innen Jake Gyllenhaal, Sienna Miller und Sophie Marceau – sowie der malischen Sängerin Rokia Traoré. Das Festival von Cannes dauert vom 13. bis 24. Mai.
(Doris Senn)