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Michael

AT 2011, 96 Min., Regie: Markus Schleinzer, mit Michael Fuith, David Rauchenberger

Michael

Rezension von Walter Gasperi

So schlicht der Titel von Markus Schleinzers Debüt ist, so alltäglich ist auf den ersten Blick, das was er zeigt. Auf Schritt und Tritt folgt die Kamera einem 35-jährigen Mann, zeigt ihn im Haushalt, in Beruf und beim Winterurlaub. Ein zurückhaltender Zeitgenosse ist dieser Michael, doch hinter den verschlossenen Jalousien seines Einfamilienhauses verbirgt er seine dunkle Seite.

Ein Mann kehrt von der Arbeit nach Hause zurück, parkt den Wagen in der Garage, bereitet sich das Abendessen zu, während im Hintergrund der Fernseher läuft. An Alltäglichkeit sind diese Szenen nicht zu übertreffen. Kleinbürgerlich bieder, wie eine graue Maus, die sicher niemandem und nirgends besonders auffällt, wirkt auch der 35-jährige Mann mit seiner unauffälligen Kleidung, seiner Brille und den kurzen Haaren. In der Zurückhaltung ungemein konzentriert wird er von Michael Fuith gespielt.

Täter und Opfer
Doch wenn Michael – erst gegen Ende wird man seinen Namen erfahren – in den Keller steigt, die schallsichere Isolierung sichtbar wird und eine speziell verriegelte Tür geöffnet wird, kann man schon ahnen, dass er ein dunkles Geheimnis verbirgt. Im Keller hält Michael nämlich einen zehnjährigen Jungen gefangen. Mit ihm isst er zu Abend, sieht fern, macht einen Ausflug in den Zoo, spielt Puzzle oder feiert mit ihm Weihnachten, wobei sie gemeinsam „Stille Nacht“ singen.

In manchen Momenten scheint sogar ein Einverständnis zwischen den Beiden zu bestehen, doch immer sind die Rollen des mächtigen Täters, der sein Opfer nach Belieben körperlich und seelisch missbraucht, klar verteilt. Keine Widerrede duldet Michael, zum Objekt degradiert er den Jungen. Selbst konfrontieren will er sich mit der Tat freilich nicht, wechselt schnell den Sender, wenn im Fernsehen ein Bericht zum Thema Kindesentführungen kommt. Seinen Lebensalltag scheint er in seinem Haus auszublenden, sein Hauptinteresse gilt Dokumentationen über exotische Tiere und ferne Länder.

Was unerklärlich ist, bleibt unerklärt
Auf Filmmusik im klassischen Sinn verzichtet Schleinzer, setzt nur im Bild sichtbare Musikquellen ein, und beschränkt sich darauf Michael in vorwiegend statischen Einstellungen zu beobachten. Was der Gefangene im Keller macht, während der Täter im Büro einer Versicherung seinem Beruf nachgeht, seine Beförderung feiert, nach einem Unfall im Krankenhaus landet oder auf Schiurlaub geht, interessiert den Film nicht.

Wer nun freilich annimmt, dass der Zuschauer durch diese Fokussierung Michael näher kommt, Einblick in seine Psyche gewinnt und zumindest ansatzweise seine Tat verstehen kann, irrt. Denn ganz andere Wege als die vielfältigen Medienberichte und TV-Reportagen zu den Fällen Natascha Kampusch und Josef Fritzl, an den die Story erinnert, geht Markus Schleinzer.

Während meistens versucht wird das Verhalten des Täters zu erklären, wird in „Michael“ auf jedes Psychologisieren verzichtet. Gerade durch diese kühle und distanzierte Beobachtung löst der Film des jahrelangen Casting-Agenten von Michael Haneke aber lange über das Filmende hinauswirkende Verstörung aus. Was unerklärlich ist, bleibt unerklärt.

Nicht zum Monster wird der pädophile Kindesentführer hier aufgebaut, sondern durch die Annäherung über den Alltag als Mensch gezeichnet, dessen Leben durch größte Normalität gekennzeichnet ist. Ein Pedant mag er zwar sein, in Momenten der Frustration Aggressionen entwickeln und ausrasten, wenn jemand seinem Geheimnis zu nahe kommt, doch allzu menschlich scheinen diese Reaktionen, lassen noch nicht auf das Dämonische schließen.

Der Zuschauer als Detektiv
Auch aus seiner Kindheit und dem familiären Background will Schleinzer seiner Protagonisten nicht erklären. Auch hier weckt das Spärliche, das man darüber erfährt, den Eindruck größter Normalität. Kontaktarmut und Einsamkeit werden zwar sichtbar, doch erklären lässt sich damit die Tat sicher nicht. Allen scheint er ein braver Bürger, niemand sieht hinter die Fassade. Wie das Haus durch Garagentor und Jalousien abgeschottet ist, so bleibt das Innere von Michael für die Öffentlichkeit im Dunkeln.

Und doch zwingt „Michael“ gerade durch diese Beschränkung auf die äußeren Handlungen den Zuschauer permanent nach Gründen für die Tat zu suchen, für die Ursachen des Abgründigen, das sich hinter der Fassade der Normalität verbirgt. In jeder Aktion, in jedem Dialog wünscht man Rückschlüsse auf diese Persönlichkeit ziehen zu können, agiert wie ein Detektiv – und stößt doch immer an eine Wand, durch die man nicht durchblicken kann. – Wie hier alles offen da liegt und man doch nie unter die Oberfläche dringen kann, gehört zum Faszinosum und zur faszinierenden nachhaltig wirkenden Stärke diese ebenso konzentriert wie sachlich-nüchtern inszenierten Debüts.
(Walter Gasperi)

 

Kritiken

National International
- Michael Sennhauser in sennhausersfilmblog.ch - Claudia Lenssen für tagesspiegel.de
- Roland Meier für outnow.ch - Susanne Hermanski für sueddeutsche.de
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  - Markus Keuschnigg für diepresse.com
  - Günter Pscheider für ray-magazin.at
   
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