A Separation - Nader And Simin
DVD - Release: 20.1.2012
Rezension von Stefan Volk
Ein tragischer Zwischenfall löst in Asghar Farhadis Drama, das bei der heurigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, eine packende Wahrheitssuche aus, die tiefe Einblicke in die iranische Gesellschaft bietet.
Simin (Leila Hatami), die kluge, selbstbewusste Frau, die das rote Haar unter ihrem Schleier hervorblitzen lässt, möchte raus aus dem Iran. Ihre vierzehnjährige Tochter Termeh (Sarina Farhadi ) soll unter besseren Umständen erwachsen werden. Nader (Peyman Moadi), Simins Mann, aber will seinen alzheimerkranken, bettlägrigen Vater nicht zurücklassen. Im Streit darüber zieht Simin zu ihrer Mutter. Termeh bleibt bei ihrem Vater, den sie moralisch im Recht glaubt. Eine befreundete Lehrerin vermittelt Nader daraufhin eine ungelernte Pflegekraft, die sich tagsüber um seinen Vater kümmern soll. Die schwangere Razieh (Sareh Bayat) lebt in ärmlichen Verhältnissen, ihr Ehemann ist arbeitslos, und er darf nicht wissen, dass sie den Vater eines alleinerziehenden Mannes pflegt. Die streng gläubige Razieh fühlt sich in diesem frauenlosen Haushalt sichtlich unwohl. Sie scheut die Nähe zu dem alten Mann. Als ihre kleine Tochter, die sie mit zur Arbeit genommen hat, an seinem Sauerstoffgerät herumspielt, bemerkt sie es nicht. Dieser erste kleine Zwischenfall wirkt noch recht komisch. Naders Vater macht grosse Augen, während das neugierige Mädchen den Hahn auf- und zudreht, alles geht gut. Noch.
Zwei Welten prallen aufeinander
Als sich der alte Mann dann aber einnässt, ist Razieh völlig überfordert. Sie ruft bei einer Koranhotline an und erhält die Erlaubnis, den Kranken auszuziehen und frisch zu machen. Trotzdem hat sie hinterher ein schlechtes Gefühl. Die Lage eskaliert, als Nader eines Tages nach Hause kommt und seinen Vater alleine vorfindet: die Hände noch ans Bett gebunden, liegt er auf dem Fussboden. Wie es dazu kam, bleibt zunächst ungeklärt. Razieh kehrt zurück, und Nader wirft sie wutentbrannt aus der Wohnung. Was dann geschieht, sieht man nicht. Razieh behauptet später, Nader habe sie die Treppe runter gestossen, dabei sei sie so unglücklich gestürzt, dass sie ihr Kind verloren habe. Plötzlich sieht sich Nader mit einem Mordvorwurf konfrontiert. Er erklärt, nichts von Raziehs Schwangerschaft gewusst zu haben, streitet ab, sie gestossen zu haben, und erstattet seinerseits Anzeige gegen Razieh, da diese seinen Vater misshandelt habe. Vor dem Untersuchungsrichter prallen mit dem kultivierten, wohlhabenden, modern denkenden Nader und Raziehs ungebildetem, jähzornigen, traditionsverhafteten Ehemann zwei Welten aufeinander. Welche der beiden Seiten moralisch im Recht ist, lässt Regisseur Asghar Farhadi lange offen, im Grunde über das Ende seines Films hinaus.
Kreisen um Leerstellen und ungelöste Rätsel
Möglicherweise spiegelt sich im Verhalten Naders, der dem Richter nicht immer die ganze Wahrheit sagt und sogar seine Tochter zu einer Lüge nötigt und damit in arge Gewissensnöte stürzt, auch die Haltung eines Filmemachers wider, der die direkte Konfrontation mit dem Regime scheut, weil er mit seinem Kino im Lande bleiben möchte, und dessen Filme anders als die Werke von Rafi Pitts oder Jafar Panahi tatsächlich auch im Iran gezeigt werden. Unmittelbar regimekritisch ist Farhadis Film jedenfalls nicht. Die Repräsentanten des Staates, Polizisten, Richter, werden eher wohlwollend dargestellt: durchaus geduldig, unvoreingenommen, an der Wahrheit interessiert. Eine wesentliche Rolle spielen diese austauschbaren Funktionsträger bei der individuellen Wahrheitsfindung allerdings auch nicht. Ähnlich wie in Farhadis letzten Film, „Alles über Elly“, in dem eine junge Frau plötzlich spurlos verschwindet, kreist nun auch sein Berlinale-Gewinner um Leerstellen, offene Fragen, ungelöste Rätsel. Warum liess Razieh Naders Vater allein? Hat sie ihr Kind wirklich bei einem Sturz verloren? Farhadi nähert sich diesen Fragen im Verlaufe des Films von wechselnden Standpunkten an, ohne abschliessend Stellung zu beziehen. Was sich wirklich abgespielt hat, bleibt lange ungewiss. Klar ist nur, dass auf beiden Seiten gelogen, taktiert und vertuscht wird. Und je länger es dauert, bis die letzte Wahrheit über den Projektor auf die Leinwand flimmert, desto eher kann man als Zuschauer die Beweggründe für dieses Versteckspiel nachvollziehen. Auf diese schleichende, unterschwellige Weise formt sich aus dem, was nicht gezeigt, was verschwiegen, geleugnet wird, das Bild einer bis ins Innerste verunsicherten, von moralisch-religiösen Zwängen überfrachteten, heuchlerischen und zutiefst gespaltenen iranischen Gesellschaft.
Kritiken
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www.nader-und-simin.de | Trigon |
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