Été 85
Streaming - Release: 12.11.21 auf filmingo.ch
Filmkritik von Philipp Stadelmaier
Während ein Polizist ihn durch dunkle Kellergewölbe zum Gerichtssaal führt, gesteht Alexis, 16 Jahre alt, im Voice-over den Zuschauer*innen seine Faszination für den Tod an sich, «la Mort avec un grand M», sowie für einen ganz bestimmten Toten: David Gorman, zwei Jahre älter als er, Alexisʼ grosse Liebe, die der gross geschriebene Tod ihm vorzeitig genommen hat.
Ihre Geschichte erzählt François Ozon in seiner Verfilmung von Aidan Chambers Romans «Dance on my Grave» in Rückblenden, die Handlung verlegt er aus dem englischen South-end in einen Badeort in der Normandie.
Hier rettet im Sommer 1985 der schöne, charismatische und verführerische David den jungen und unerfahrenen Alexis an einem gewittrigen Nachmittag aus Seenot und nimmt ihn mit nach Hause. Davids verwitwete Mutter, gespielt von Valeria Bruni Tedeschi, steckt ihn sofort in die Badewanne und wenig später als Aushilfskraft in ihre Ferienboutique; sie wünscht sich für ihren einzigen Sohn nur eines: «einen guten Freund». Tatsächlich werden die beiden schnell mehr als Freunde, bis die Engländerin Kate die Bühne betritt, David mit ihr schläft und Alexisʼ Eifersucht eine Tragödie lostritt.
Soweit das Skelett einer Erzählung, die vom Tod besessen ist und von der, wie so oft in Ozons Filmen, wenig mehr übrig bleibt als ein romantisch aufgeblähtes Phantasma: Einmal begraben, kann die Realität in Alexisʼ Erinnerung und Vorstellungskraft frei drehen. Die Liebesgeschichte existiert nur durch Rückblenden, als literarischer Bericht der Ereignisse, den Alexis nach Davids Tod für das Gericht anfertigt. Nach Davids Tod trauert Alexis, wie ihm Kate klarmacht, eher um eine «Idee» von David als um diesen selbst. Dessen Ziel im Leben war selbst ein reines Phantasma: so schnell mit dem Motorrad zu fahren, dass er im Bruchteil einer Sekunde überallhin kommen kann, als würde er in einer Kugel aus Licht reisen.
David, die Lichtkugel, existiert vor allem in Alexisʼ Kopf: Während sie zusammen in einer Disco sind, sieht man plötzlich Alexis mit Kopfhörern, der sich durch den Saal treiben lässt, als sei diese Szene nie real gewesen, als würde er sie erst später erfinden. Der phantasmagorische Fond der Erzählung relativiert auch die schwule Liebesgeschichte, die als solche nie thematisiert und stattdessen überschrieben wird durch den heteronormativen Charakter einer Beziehung, in der David der «männliche» Verführer ist, während am Schluss der «weibliche» Alexis, verkleidet als Mädchen, sich im Leichenschauhaus auf den Leichnam des Geliebten wirft.
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