Mary & Johnny

CH 2011, 80 Min., Dialekt, Regie: Samuel Schwarz und Julian M. Grünthal, mit Nadine Vinzens, Philippe Graber, Nils Althaus, Andrea Zogg, Marcus Signer

Mary & Johnny

DVD - Release: 19.12.2012

Rezension von Geri Krebs

In einer einzigen Nacht am Züri Fäscht 2010 entwickelt sich dieses geniale Drama zweier Schweizer Jungregisseure und zeigt wie zeitgenössisches (Deutsch-) Schweizer Spielfilmschaffen auch sein könnte: Laut, frech, unkonventionell und sozialkritisch.

Die ersten zwei Minuten lang bleibt die Leinwand schwarz. Eine Männerstimme in breitem Berner Dialekt sagt Sätze wie: „Ich bin ein blöder krimineller Vollidiot“, aber auch: „Ihr da draussen denkt ja nicht mehr, sondern ihr lasst euch denken“. Dann wird klar, der Mann ist im Knast und was er sagt, ist an den Johnny aus dem Filmtitel gerichtet. Der Mann sagt dann aber auch, die Geschichte von ihm und Johnny und Mary sei schon einmal erzählt worden und zwar von einem „krassä Siäch“, Ödön von Horvath. Und eigentlich sollte man doch einen Film machen über diese Geschichte, einen „schmuddeligen kleinen Film, mit dem I-Phone gedreht, aber nicht so verwackelt wie die Dänen“ und Mary sollte am besten von einer „Ex-Schweizermeisterin im Aussehen“ gespielt werden.

Aufgeheizte Stimmung

Nach diesem ungewöhnlichen Einstieg sieht man endlich die zwei titelgebenden Figuren, es ist der 3. Juli 2010, Nacht der Viertelfinalis der Fussball-WM, und an jenem heissen Wochenende ist am Zürcher Seebecken grosses Rambazamba mit Public Viewing und Züri Fäscht mit Hunderttausenden von FestbesucherInnen. Zwei in dieser Menge sind die Verkäuferin Mary (Nadine Vinzenz, Miss Schweiz von 2002 in ihrer ersten Filmrolle) und der Verkaufsangestellte Johnny (Philippe Graber), der gerade einige Stunden zuvor seine Stelle verloren hat. Die Stimmung zwischen beiden ist gespannt, ja explosiv. Johnny ist nicht ums Feiern, ausserdem interessiert ihn Fussball nicht, und so kommt es zum Knall. Johnny lässt Mary stehen – und als er kurz darauf den Schritt bereut und zu ihr zurück will, sieht er, wie sich bereits ein schmieriger junger Schönling namens Hostettler (Nils Althaus) an sie heran gemacht und sie seine Avancen erwidert hat. Doch da läuft Johnny sein alter Kumpel Mischa (Marcus Signer) über den Weg, Hand in Hand mit seiner Freundin Fränzi (Gina Gurtner). Mischa überzeugt Johnny, Mary zu vergessen und lieber mit ihm herumsaufen zu kommen.

Die Ausgangslage für das weitere Geschehen ist nun klar: Hier das Trio Johnny, Mischa und Fränzi, und da das neu entstandene Paar Mary und Hostettler. Letzteren gesellen sich dann noch zwei zynische, ältere Fussballfunktionäre, gespielt von Andrea Zogg und Jaap Achterberg, hinzu, und immer wieder werden sich in der Folge die Wege der einen und der anderen kreuzen.

Sehr filmisch und brillante Dialoge

Regisseur Samuel Schwarz und sein Kompagnon Julian M.Grünthal lassen diese Figuren eintauchen in das Festgewühl und völlig aufgehen in der Sommernacht und man kann es nur genial nennen, wie das reale Geschehen des Züri Fäscht mit seiner zunehmend aggressiv-alkoholseeligeren Stimmung verbunden wird mit einer Story, die von Beginn weg die in ihr angelegte Katastrophe nicht verbirgt. Während die Stimme aus dem Off - von der schnell klar wird, sie gehört Mischa, dem brutalen Schläger – in den ersten Szenen noch unentwegt kommentiert und oft für einen starken Kontrast sorgt, zu dem was man sieht, verstummt sie mit der Zeit fast ganz, um am Ende wieder präsent zu sein. Das ist ein stark verfremdender Kunstgriff, man hat sich doch an die Figuren gewöhnt, die da durch die Nacht taumeln und man hätte ihnen gerne noch länger zugeschaut.

Der Kunstgriff macht zwar deutlich, dass die beiden Autoren vom Theater herkommen – und das Filmdrehbuch ist eine freie Adaptation von Ödön von Horvaths Theaterstück „Kasimir & Karoline“, das nach dem Big Bang von 1929 am Münchner Oktoberfest spielt . Doch theatralisch ist „Mary und Johnny“ in keiner Weise, sondern äusserst filmisch mit brillanten Dialogen, mit ungemein fliessenden Kamerafahrten und mit einer Ausschöpfung ständig wechselnder farblicher Stimmungen der Sommernacht bis an ihr Ende.

Gewidmet ist „Mary & Johnny“ drei höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten:“ Für Max Haufler“, „Für Kurt Gloor“, „Für Walter Stürm“, liest man zwischen den Blöcken der Credits und vielleicht muss an dieser Stelle ja gesagt werden, dass es sich um drei grosse – heute fast vergessene – Schweizer handelt, 1965, 1997 und 1999 verstorben. Der erste war Schauspieler, der zweite Filmregisseur und der dritte, je nach Lesart, „Berufskrimineller“ oder „Ausbrecherkönig“, und allen drei ist gemeinsam, dass sie Selbstmord begingen in jenem Land, in dem auch die Mary und der Johnny untergegangen sind.
(Geri Krebs)

     

Kritiken

National
- Urs Arnold für outnow.ch
- Florian Leu für nzzfolio.ch
- Interview mit Nadine Vinzens auf tagesanzeiger.ch
 

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