All The Beauty And The Bloodshed

US 2022, OV/df, 123', Regie: Laura Poitras, Dokumentarfilm mit Nan Goldin

All The Beauty And The Bloodshed

Filmkritik von Walter Gasperi

Laura Poitras zeichnet in ihrem mitreißenden, bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Dokumentarfilm einerseits Leben und Schaffen der US-amerikanischen Fotografin Nan Goldin nach, wirft andererseits im gesellschaftspolitischen Engagement und Aktivismus Goldins aber auch Fragen nach Aufgabe und Macht der Kunst auf.

Nachdem Laura Poitras 2014 mit dem vielfach ausgezeichneten Edward Snowden-Dokumentarfilm "Citizenfour" Aufsehen erregt hat, widmet sie sich nun der US-amerikanischen Fotografin Nan Goldin. Nicht linear zeichnet Poitras dabei Leben und Schaffen der 1953 geborenen Künstlerin nach, sondern entwickelt ihren Film in komplexer Montage auf zwei Handlungssträngen.

Mitreißende Kraft entwickelt schon der Einstieg mit der hautnahen Dokumentation eines Protests der von Goldin 2017 gegründeten Aktivisten-Gruppe P.A.I.N. (Prescription Addiction Intervention Now) im New Yorker Metropolitan Museum of Art gegen die sich als Kunstförderer und Philanthropen gebende Pharmadynastie Sackler und ihr Unternehmen Purdue Pharma.

Weltweit fördern die Sacklers zwar Museen, das entsprechende Geld dafür hat sich die Familie aber vor allem mit dem Schmerzmittel Oxycontin verdient. Dieses macht nicht nur sehr schnell abhängig, sondern war auch Auslöser der Opioidkrise, durch die in den USA zwischen 1999 und 2021 laut Bericht der US-Behörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) über 800.000 Menschen starben.

Auch Goldin war von diesem Opioid, das ihr 2014 nach einer Operation verschrieben worden war, abhängig. Hohe Dosen brachten sie sogar in Lebensgefahr, bis sie durch einen Entzug von dieser Medikamentensucht loskam. Seither stellt sie ihre Kunst und ihre Bekanntheit in den Dienst des Kampfs gegen die Sacklers und ihren Konzern. Dieser zieht sich wie ein roter Faden durch den Film und vermittelt auch einen Eindruck von der Kraft und der Bedeutung gesellschaftspolitischen Engagements, wenn sich unter dem Druck der Aktionen schließlich zahlreiche Museen vom Guggenheim Museum bis zum Louvre von den Sacklers zu distanzieren und deren Förderungen abzulehnen beginnen.

Parallel dazu zeichnet Poitras aber auch das Leben Goldins nach. Zentrale Rolle spielt dabei ihre Familie. Prägend war für sie der Selbstmord ihrer älteren Schwester Barbara, die 1965 mit 19 Jahren aus dem Leben schied. Wut auf ihre Eltern, die Barbara wegen ihres rebellischen Verhaltens in die Psychiatrie einweisen ließen und deren Selbstmord immer als Unfall darstellten, löste diese traumatische Erfahrung aus. Poitras hat nun nicht nur ihren Film dieser Schwester gewidmet, sondern auch den Titel aus deren Tagebucheinträgen entnommen.

Die Kindheit in diesem repressiven, kleinbürgerlichen Milieu wird als Wurzel und Triebfeder für ihre spätere künstlerische Entwicklung geschildert. In Abkehr von ihrer Herkunft blickt Goldin in ihren Fotoserien immer wieder auf die Randzonen der Gesellschaft und auf Außenseiter. Sie thematisiert Ausbeutung, Unterdrückung, Krankheit und Tod und rückt in ihren Fotos auch immer wieder sich selbst in den Mittelpunkt.

So dokumentierte sie in der Diashow "The Ballad of Sexual Dependency" (1979 – 1986), mit der ihr der künstlerische Durchbruch gelang, mit Fotos von Frauen, aber auch von sich selbst erschütternd sexuelle Ausbeutung und die Gewalt der Männer. In der von der National Education Association zensierten Ausstellung "Witness: Against Our Vanishing" (1989) prangerte sie dagegen mit Porträts ihrer an Aids verstorbenen Freund:innen die Tabuisierung, Verdrängung und Stigmatisierung dieser Seuche an und machte das Leiden der Betroffenen öffentlich.
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