The Wild Pear Tree

TR 2018, OV/df, 188 Min., Regie: Nuri Bilge Ceylan, mit Aydin Doğu Demirkol, Murat Cemcir, Bennu Yildirimlar

The Wild Pear Tree

Filmkritik von Patrick Straumann

Darf, kann der zeitgenössische Film auf das 19. Jahrhundert zurückgreifen? Winter Sleep, die letzte Produktion von Nuri Bilge Ceylan, baute auf drei Novellen von Tschechow und machte Anleihen bei Dostojewski, um seinem von Nostalgie und Fernweh geprägten Stoff seine soziale Schärfe zu verleihen.

The Wild Pear Tree scheint der türkische Regisseur zwischen Balzacs «Verlorene Illusionen» und «Die Schule der Empfindsamkeit» von Flaubert anzusiedeln: Sinan, ein angehender Lehrer, der nach dem absolvierten Studium in seine Geburtsstadt in den Dardanellen zurückkehrt, hat künstlerische Ambitionen und versucht, sein Manuskript (eine «Träumerei über den lokalen Lebensstil», wie er sein Prosaprojekt definiert) im Selbstverlag herauszugeben. Ceylan inszeniert in über drei Stunden Sinans artistisches Scheitern und seine langsame Heimkehr. Das Drehbuch überrascht kaum mit Wendungen und ist in erster Linie von ausufernden Dialogen getragen, und doch erweist sich jede Szene als unabdinglich in der Skizzierung der inneren Dramen, die der Protagonist und seine Familie durchlaufen.

Da sind zunächst Sinans missglückte Versuche, sein Buch vom Bürgermeister und später von einem lokalen Industriebaron finanzieren zu lassen, gefolgt von jenen Momenten, in denen seine emotionalen Wunden wieder aufbrechen werden: So etwa seine Begegnung mit Hatice, einer einstigen Schulhofliebe, die nun das Kopftuch trägt und sich anschickt, den Sohn eines reichen Schmuckhändlers zu heiraten. Das zufällige Treffen mit ihr am Rand einer Nussbaumplantage weckt alsbald eine leise erotische Spannung, die allerdings ein brüskes Ende findet, als sich Hatices Kuss in einen Biss verwandelt. Später, als Sinan zusammen mit einem anderen sitzengelassenen Verehrer der jungen Frau einen Ausflug ans Flussufer unternimmt, mündet die Konkurrenz in einen Faustkampf – die Stigmata seiner ehemaligen Leidenschaft wird Sinan in der Folge noch wochenlang im Gesicht tragen.
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Verleiher
Trigon Film

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