Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives
Rezension von Irene Genhart
Der Thailänder Apichatpong Weerasethakul begleitet in seinem 2010 mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichneten Film seinen Protagonisten in den Tod und setzt sich dabei intensiv mit menschlichen Seins- und Seelenzuständen auseinander.
Was passiert, wenn wir sterben? Wie scheiden wir von unserem irdischen Sein? Können Verstorbene mit Lebenden Kontakt aufnehmen? Gibt es Geister? - Das Kino beschäftigt sich – man denke nur an „Hereafter“, „Satte Farben vor Schwarz“, „La dernière fugue“ und „Arme Seelen“ – jüngst augenfällig oft mit Fragen um die Bedingtheit des irdischen Seins. Nahtlos in diesen Kanon fügt sich „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ von Apichatpong Weerasethakul. Im Unterschied zu oben Genannten jedoch schreckt „Loong Boonmeee Raluek Chat“, wie der Film im Original titelt, in keiner Weise zurück vor der Visualisierung des gemeinhin als nicht visualisierbar Geltenden, und das räumt dem der Gewinner der Goldenen Palme von Cannes 2010 in der Filmgeschichte dann doch einen ganz besonderen Platz ein.
Geister der Verstorbenen
Im Zentrum steht der Titelheld, Onkel Boonmee, ein Mann fortgeschrittenen Alters, der schwer nierenkrank ist. Dieser lässt sich zum Filmanfang aus dem Krankenhaus auf seine am Rande des Dschungels im thailändisch/laotischen Grenzgebiet liegende Farm fahren, wo er umsorgt von seiner Schwägerin Jen und seinem Pfleger Tong seine letzten Tage verbringt. Gemächlich und zugleich sehr bewusst geht Boonmee, der, wie man in einer der ersten Szenen erfährt, fest an die Wiedergeburt glaubt, die Sache an. Ein letztes Mal geht er über seine Felder, besucht seine Bienenstöcke, seine Tamarindenplantage. Ab und zu hält er inne und rastet. Erzählt dabei bruchstückweise aus seinem Leben als Soldat und Bauer, sinniert dabei über seine Krankheit, sein Schicksal: Vielleicht, meint er, habe sein Karma gelitten, als er im Krieg seine Feinde ermordete. Vielleicht aber ist sein Nierenleiden auch bloss eine Bestrafung für die Insekten, denen er auf seiner Farm mit Pestiziden zu Leibe rückte; wer kann das schon wissen? Langsam gleitet Boonmees Bewusstsein in andere Sphären. Meint er zum Filmanfang noch in einem Wasserbüffel einer früheren Inkarnation seiner selbst zu begegnen, taucht beim Abendbrot plötzlich der Geist seiner vor Jahren verstorbenen Frau auf. Geister binden sich nicht an Orte, sondern an liebende Lebende, erklärt sie und wird Boonmee zur Charons-Gefährtin. Später im Film taucht als Affengeist mit glühend roten Augen ihrer beiden vor Jahren im Dschungel verschwundener Sohn auf. Und irgendwo dazwischen findet sich, märchenhaft schön, Boonmees Traum (oder Erinnerung) an die erotische Begegnung einer Prinzessin mit einem sprechenden Wels.
Traumhafte Trancewelten, lyrischer Geräuschbogen
Je länger je mehr lösen sich in der Folge die Grenzen zwischen Erlebtem, Erinnertem und Phantasiertem auf. Als Boonmee seine letzte Stunde kommen fühlt, begibt er sich mit seinen Begleitern in eine abgelegene Höhle, in der er in einem früheren Leben geboren wurde. Wohltuend beschaulich, zugleich sehr elliptisch ist „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ erzählt. Überrascht durch eine geradezu dokumentarisch anmutende Schilderung des üblicherweise als Realität nicht Wahrnehmbaren und lädt den Zuschauer ein zum Gang durch traumhafte Trancewelten. Einfach zu rezipieren ist „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ zugegeben nicht. Doch der Film ist bildschön fotografiert, die Tonspur fasziniert als bis zum leisesten Insektensummen lyrischer Geräuschbogen, und der Film als Ganzes ist wunderbar mystisch und lädt zum Meditieren ein. Und auch wenn man in letzter Konsequenz vielleicht nicht ganz alles begreift, was Apichatpong Weerasethakul am Herzen liegt, eines versteht man gewiss: Dass das irdische Sein, so wie es hier verstanden wird, vor allem eine Frage des Bewusstseins ist. Und das ist da, wo es ums Sterben geht, letztlich doch sehr tröstlich.
(Irene Genhart)
Kritiken
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www.uncle-boonmee.com | Trigon |
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